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Reisetagebuch Bernsteinstraße   09. August 2018 - Tag: 284 km - Gesamt: 2730 km - Eintrag: M&U 

Von Syców nach Chełmžá (Polen) 

Der Tag beginnt gut, wenngleich unterkühlt. Richtig gelesen, im „Aroma Stone“ herrschen Minustemperaturen - jedenfalls gefühlsmäßig. Die ersten Meter mit den Enduros sind vergleichsweise ein Ritt direkt in die Sauna. Wir haben uns nach den nicht gerade prallen Erfahrungen auf den eher hektischen Überlandstraßen in Polen vorgenommen, auf Nebenstrecken auszuweichen, wann immer es geht. Die Bernsteinkaufleute werden’s nicht übel nehmen - im Gegenteil. Über Ostrzeszów bis quer ab nach Grabów geht es kurvenreich durch eine hügelige, schattenspendend bewaldete Landschaft - die Wzgorza Ostrzeszówskie. Bitte nachsprechen! Kalisz liegt am Wegesrand und wir suchen die Innenstadt. 

 

Über 100.000 Menschen leben im früheren Kalisch und es geht ihnen - offensichtlich - nicht gut. Eine polnische Stadt ohne Schminke, mit abbröckelnden, graffitiverzierten Hausfassaden, stumpfen Innenhöfen, in denen Menschen die Großmülleimer nach noch verwertbaren Resten scannen, einsturzgefährdeten Balkonen und einem mit Planen überdachten Dauermarkt auf dem „Rynek“, auf dem misstrauische, abweisende, ja, geradezu feindselige Blicke überwiegen, wenn man als „Fremder“ mit einem Fotoapparat „bewaffnet“ hier aufkreuzt. Im Park sitzen die Vergessenen, rauchen, haben leere Augen, ohne Energie, ohne Hoffnung - das ist ein anderes Polen, als wir es bisher wahrgenommen haben. Eine Stadt neben dem Tourismus, außerhalb allem Sehenswertem, und auch wenn diese Stadt eine der ältesten urkundlich erwähnten polnischen Städte ist - hier kommt keiner vorbei, um zu bleiben und zu schauen…

 

Die Bikes pfeilen nach Norden, halten auf der 25er Landstraße auf Konín zu und das erste Mal auf dieser Reise kommt landschaftlich Langeweile auf. Kilometer um Kilometer flaches Land, mit kleinen Knicks als Begrenzung zwischen den abgeernteten oder von der Sonne bereits verbrannten Mais- und Sonnenblumenfeldern. „In the middle of nowhere“ würde das in den USA genannt werden und genauso fühlt man sich als Durchreisender auch. Nach 150 Kilometern auf der schmalen Endurobank ist mein Sitzfleisch fast durch und ich setze mich mal auf den linken Oberschenkel, mal auf den rechten. Durchhalten ist angesagt. Erst hinter Konín gibt es unterwegs nach Ślesin etwas Abwechslung durch eine kleine Seenplatte linker- und rechterhand der Straße, wenn das Wasser der Warta ein wenig in die Breite gehen darf. Wir verlegen den Kurs nochmals ostwärts, streifen Sompolno, bekommen in Radzielów eine wunderbar restaurierte traditionelle Holzkirche mit freistehendem Glockengerüst fotogerecht präsentiert und holen uns in Zakrzewo den Reisesegen von einer kunterbunten Bildstockmadonna. Wenig später ist Schluss mit lustig.

 

Mit Erreichen des landschaftlichen Einzugsgebietes der Weichsel verdichten sich die Wolken am Himmel zu einem grauschwarzen wilden Meer. Als die Stollen über eine Weichselbrücke westlich vonTorun (deutsch Thorn) rollen, zucken Blitze über der alten Hansestadt. Der gute Kopernikus auf seinem erhabenen Denkmal am Rande des Ryneks neben der Sankt Johannes-Kathedrale wird sich jetzt gewiss ärgern, schießt es mir durch den Kopf, dass er pudelnass und machtlos mit anschauen muss, was die Elemente da mit ihm veranstalten. Wo er doch die Welt so genau zu erklären wusste, dass wir unseren Kindern noch heute sein kopernikanisches Weltbild mit der Sonne im Zentrum der Welt vermitteln… Wir belassen es bei einem Winken vom letzten Brückenpfeiler und kramen über die Sprechanlage alte Erinnerungen hervor, an zwei Reisen an der Weichsel entlang und hinauf an die Ostseeküste zu Günter Grass, auf denen jedes Mal Torun den Schnittpunkt bildete.

 

Michaela hat  - natürlich über booking.com 😉 - in Chełmžá das 3-Sterne-Hotel „Imperia“ ausgewählt und provoziert mit dem Eintreffen in der kleinen Stadt zum ersten Mal den Verdacht, den berühmten Griff ins Kl… gemacht zu haben. Mein Gott, was für ’ne Absteige, rutscht es mir heraus, und das Drumherum ist auch nicht gerade animierend. Dann die Zufahrt in den Hinterhof, ein erster Blick auf das Foyer, die gemütlichen Gartenlounges, das niedliche Dachzimmer mit kleiner Terrasse und die superfreundliche, gemütliche Atmosphäre im Haus -- me and my bad thoughts! Und wie schön ist es, wenn der erste Schein mal wieder trügt. Eine Stunde später beginnt es zu kübeln und orkanartige Windböen dampfstrahlen den Innenhof. Jetzt noch unterwegs da draußen und kein booking.com? Michaelas Schmunzeln grenzt fast an Siegesgewissheit 😊...

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