Wir haben uns eine Auszeit gegönnt – einen Faulenzertag auf dem Campingplatz von Alexandroupolis. Schwimmen, Spaziergang am Strand, ausgedehntes Frühstück, unseren Blog pflegen (was bei der schneckenlangsamen und vor allem sehr unzuverlässigen Internetverbindung im tiefen Osten Griechenlands zu einer Mordsgeduldsprobe wird) – es soll je tatsächlich Menschen geben, die so etwas drei Wochen lang am Stück machen… ;-)
Heute kribbeln dann schon wieder die Füße und das Röcheln des Kaffeekochers sorgt gegen 7 Uhr morgens für die nötige Startportion Adrenalin. 45 Kilometer später genießen wir die uns inzwischen schon mehr als vertraute türkischen Grenzprozedur: Pässe – Fahrzeugpapiere und Versicherungen – Endabnahme mit PC-Check unserer Kennzeichen und Namen. Diese Daten sind nun von jeder Polizeistation (auch mobil) abrufbar und werden durch die Meldungen der Tankstellen, die vor dem Betanken der Fahrzeuge die Kennzeichen eingeben, ergänzt. Damit ist für die Grenzpolizei jederzeit rekonstruierbar, wo man als Tourist herumgegurkt ist. Nur wenige kleine Tankstellen – vornehmlich östlich von Ankara – registrieren keine Kennzeichen und sorgen damit für dezente Infolücken in der staatlichen Überwachung…
Die ersten Türkeikilometer hinter dem Grenzort Ipsala laden immer noch zum Umkehren ein – so trostlos verratzt wirken die Ortschaften und Bauruinen am Rande der Straße. Nach einer guten Stunde Fahrt bietet sich von einer Anhöhe der Route aus plötzlich ein gewaltiger Anblick: im fahlen Dunst des Mittaglichts brütet das Mamarameer, blassblau, mit weißem Schleier und darüber treibt ein überdimensionaler brauner Teppich aus den Abgasen unzähliger Frachtschiffe und Tanker, die von den Dardanellen her kommend nach Istanbul fahren, um dort ihre Ladung zu löschen oder über den Bosporus weiter ins Schwarze Meer vorzustoßen. An die 80.000 sollen es in jedem Jahr sein – womit diese Wasserstraße zu den meistbefahrenen der Welt zählt.
Die Fahrt am Ufer des Marmarameers entlang kennt durchaus auch schöne Momente, gepflegte Ortschaften mit neu entstandenen Wohnsiedlungen und Grünanlagen, die erkennen lassen, dass die Stadtplaner Istanbuls durchaus gewillt sind, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Wie solche Fehler aussahen und für Besucher der Metropole immer noch aussehen, wird einem dann gute 20 Kilometer vor der Stadt restlos klar, wenn die Autobahn sechsspurig in einen zähen, von dichtem Smog garnierten Verkehrsstau mündet, der die euphemistische Umschreibung „stop ‚n‘ go“ eigentlich nicht mehr verdient hat. Ist Londons Berufsverkehr vielleicht noch „cool“ und die verstopfte „Périphérique“ in Paris ein Teil des lässigen „Savoir vivre“ der Franzosen, so ist Istanbuls Nachmittagsverkehr eine vormilitärische Grundausbildung in Sachen Nahkampf. Fahrspuren? Egal! Verkehrsregeln? Wurscht! Lücken? Gibt’s nicht! Abstand vorne, hinten, seitlich? Maximal in Zentimetern! Es darf auch mal touchiert werden – dabei bitte nicht umfallen… Keine halbe Stunde späterhaben auch wir sämtliche europäischen Verhaltensregeln ins Marmarameer geworfen und fahren vornehmlich rechts auf einem klitzekleinen „Standstreifen“, der selbst für Puntos und Bambinos zu eng ist. Die eingeschaltete Warnblinkanlage ist die letzte kleine Reminiszenz an ein tief verwurzeltes Verkehrsregelwerk; als uns im Stadtzentrum dann schließlich noch einige mit der Atemnot ringenden Verkehrspolizisten verbeischleusen, haben wir es sozusagen amtlich: Sooo fährt man in Istanbul!!!
Irgendwann mache ich den Fehler und folge im dicksten Stau den Richtungspfeilen des Navi statt der eigenen Nase und lande prompt auf einem Abzweig direkt ins Stadtzentrum. 12.675.000 Nüfüs (Einwohner) steht auf dem Stadtschild und diese Zahl ist inzwischen längst Vergangenheit. Man spricht heute von gut 18.000.000 Millionen Einwohnern Istanbuls und Jahr für Jahr wächst diese gewaltige Zahl um ca. 300.000 "Zuwanderer", vornehmlich aus dem von Arbeitslosigkeit gebeutelten armen Osten des Landes.
Nach 60 Kilometern Nervenkrieg sind wir schließlich durch und haben ab der riesigen Brücke über den Bosporus wieder freie Fahrt. Ein fantastischer Anblick aus gut 50 Metern Höhe. Das ist dann
doch einen kleinen Juchzer wert und zum erstenmal bedaure ich, noch nicht im Besitz einer guten Helmkamera zu sein...
Wir hatten uns viel vorgenommen für diesen Tag, doch die Schlacht um Istanbul hat mindestens zweieinhalb Stunden gekostet. Und so ist nun nach gut 550km der Ofen aus. Bei Düzce verläuft die Route
durch das Küstengebirge des Schwarzen Meeres und verspricht auf der landesinneren Seite ein wenig Abkühlung. Die Gegend ist dünn besiedelt und Hotelunterkünfte scheinen Mangelware zu sein. So
verlassen wir uns einmal mehr auf die POIs im Garmin-Navi und landen 25km "off route" tatsächlich an einem Hotel. Dass es gerade im Umbau ist und wir die einzigen Gäste sind, kann das gute Teil
ja nicht ahnen. Aber die beiden Burschen der Hoteliersfamilie sind fit, besorgen uns noch ein kräftiges "kebap" und ein paar Fläschchen vom guten "Efes". Wir schlafen tief - trotz der in der
Nacht ununterbrochen röhrenden LKW...
Kommentar schreiben