Ein Abend in Tbilisi (Tiflis)

Kazbegi / Georgische Heerstraße – Tiflis: 160 km

Die Einheimischen haben Recht gehabt: Mit etwas Glück kann man den Kazbek morgens zwischen 8 und 10 Uhr wolkenfrei im Sonnenlicht bewundern; anschließend hüllt er sein majestätisches Haupt oft in Wolken. Und wir haben Glück! Stahlblauer Himmel, die Spitze des 5000er leuchtet schneeweiß und die beiden Kirchtürme des Zminda Sameba-Klosters werden von der Morgensonne vergoldet.

 

Der Berg ruft und wir beschließen, den steilen Fahrweg nach Gergeti und weiter hinauf zum Kloster zu zweit mit der Ténéré zu versuchen. Bis zu dem Dorf geht alles gut, doch dann wird der Pfad dermaßen steil und blockig mit faust- bis kindskopfgroßen Steinen, dass ich an einer tief ausgewaschenen Rinne vom Gas muss und die XT hoffnungslos festfahre. Wie lautet noch schnell die alte Faustregel: Im Gelände zählt jedes Kilo Fahrzeuggewicht vierfach. Und die Ténéré ist längst kein echtes Off-Road-Bike mehr, sondern hat inzwischen gewaltig Fett auf den Hüften, was Michaela und ich bei unserem Versuch, das Motorrad an dem steilen Anstieg frei zu bekommen und zu wenden, gewaltig zu spüren bekommen. Irgendwie schaffen wir es dann doch und treten uns anschließend fast auf die Lunge… Also gut, ich habe meine fahrtechnischen Grenzen kennen gelernt und verkneife mir einen zweiten Anlauf. Die Bremse im Hinterkopf funktioniert – denn wenn wir in dieser Gegend ein Bike zu Bruch fahren, türmen sich anschließend Probleme auf, auf die wir sehr gerne verzichten.


Unten im Dorf Kazbegi bekommen wir stattdessen einen Morgenkaffee und zum Frühvesper etwas Käse, ein Spiegelei und etwas Brot. Schräg gegenüber des "Cafés" (Welch ein Name!) gibt es in einer abgerissenen Hütte eine sogenannte "Mountain Travel Agency" und der Typ dort hat tatsächlich einen alten PC Marke Eigenbau mit Internetanschluss. Also Blog-Fütterzeit! Erst lange nach Mittag kommen wir los. Der Himmel hat sich zugezogen und all das, was uns gestern Nachmittag auf der Anfahrt noch faszinierte, wirkt farblos und verblasst. Nothing like the sun! Ab Kobi wird es für Michaela nochmals hart, sind doch wieder 15 staubige und schotterige Kilometer über den Kreuzpass angesagt. Ich versuche, die Ideallinie zwischen den steinigen Passagen und vor allem in den ausgewaschenen Kehren per Sprechfunk an sie weiterzugeben und bin einmal mehr erstaunt, wie schnell jemand lernen und Zutrauen gewinnen kann. Da schwingt auch ein wenig Stolz mit – zugegeben! Wie bisher überall in Georgien spielt sich auch in den Bergen das Leben am Rande der Straße ab: kleine Stände mit Honig, Tomaten, Melonen und vor allem Strickwaren. Michaela erwirbt ein paar handgefertigte Kniestrümpfe (Im Kaukasus kann es kalt werden!) und eine mit landestypischen Motiven verzierte gehäkelte Mütze. Schöne Andenken für daheim!


Ein paar Kilometer vor Ananuri begegnen wir zum zweiten Mal auf dieser Reise jenen drei Fahrradfahrern, die uns im Bergland kurz hinter Batumi völlig durchgeschwitzt von ihrer Georgien-Tour erzählt hatten: Volker aus Nordhausen, Robert aus England und Volker aus Vilnius in Litauen. Sie haben sich vorgenommen, die 150 km der Heerstraße ab Tiflis in zwei Etappen zu packen, und so tauschen wir Tipps für Unterkünfte und Routeninfos. Robert ist bereits 69, strampelt den beiden Volkers tapfer hinterher und begrüßt uns nach Luft japsend mit den Worten: "They are trying to kill me, those guys, but they won’t!" Eine tolle Männerfreundschaft verbindet die drei, und Georgien ist bei weitem nicht ihr erstes gemeinsames Bike-Abenteuer. "R-e-s-p-e-c-t", rufen wir Robert beim Abschied noch zu, bevor wir unseren Schweißausbruch mit einem Druck auf den Anlasserknopf beenden.

Mit der Dämmerung treffen wir in Tiflis ein, rollen vierspurig durch die Stadt, an der hell beleuchteten Friedensbrücke vorbei und finden den Weg über die Metechi-Brücke ins Hotelviertel Isani am gegenüberliegenden Ufer und – dank Volkers guter Beschreibung – das schöne Hotel KMM in einer ruhigen Altstadtgasse. Das Zimmer ist ein Ballsaal und geschmackvoll eingerichtet, die Dusche funktioniert, man spricht Englisch und der Balkon ist groß genug, um als Kleiderständer für die seit langem fällige Wäsche zu dienen. Gut, dass der Geruchssinn der Georgier nicht übereimpfindlich auf uns reagiert…

 

Beim abendlichen Bummel durch die Innenstadt von Tiflis wird einmal mehr deutlich, wohin sozial betrachtet in diesem jungen Land die Reise geht. Wer Kohle hat (Gott weiß woher…) hängt in den großen Städten den Larry ‘raus, flaniert – oder brettert – mit dicken Geländewagen über die Boulevards, lümmelt übergewichtig und gelangweilt auf den Straßensofas vor den angesagten Lokalen und hält sich die eine oder andere Schicki-Micki-Mieze zum Tai-tai-Gehen. Das ganze schön illuminierte Spektakel ist eingebettet und umrahmt von zahlreichen Kirchen, der Narikala-Festung über der Stadt und vielen traditionellen, mit Holzveranden geschmückten Bürgerhäusern, in denen allerdings auuschließlich feinere Lokale, Bars und geschlossene Clubs mit Lounges und Türstehern "wohnen". Zwei Straßen weiter beginnt das wahre Tiflis mit verrotteten Hinterhöfen, ärmlichen Wohnverhältnissen und alten Männern und Frauen, die morgens von Tür zu Tür ziehen, um sich mit Kartoffeln und Tomaten ein paar Lari zu verdienen. Hier begegnet man keinen Touristen.


Am Morgen beschließen wir eine kleine Programmänderung. Wir werden am späten Nachmittag nicht über die Rote Brücke im Süden der Hauptstadt Tiflis nach Aserbaidschan einreisen, sondern erkunden über die Kachetische Weinstraße noch ein gutes Stück unbekannteres Georgien und versuchen, bei Lagodekhi / Tsodna über die Grenze zu gehen.


Die illuminierte Friedensbrücke von Tiflis überspannt die Kura
Die illuminierte Friedensbrücke von Tiflis überspannt die Kura

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