Wir haben beschlossen, der Autobahn weiterhin fern zu bleiben und fahren auf der alten Landstraße weiter Richtung Ankara. Zerfall und Moderne stehen in einem oft unverdaulichen Kontrast nebeneinander. Eben noch bittere Armut und total verlodderte Hinterhöfe und Werkstätten in den Straßendörfern und Ortschaften am Wegesrand, dann plötzlich moderne Bürogebäude, Firmensitze und gepflegte Parkanlagen wie in Bolu. Michaela schlägt vor, Ankara weitgehend zu umfahren und der Landstraße nach Samsun weiterhin zu folgen, um erst in Ilgaz nach Süden Richtung Bogazkale abzubiegen. Mir soll es recht sein, wenn die gewonnene Zeitreserve für Türkeierlebnisse über Land genutzt werden kann. Es ist immer noch schwül und heiß und erst die Schleichfahrt über einen steilen Passanstieg hinauf nach Çerkes bringt Abkühlung. Die Fahrt erweist sich als Erinnerungsauffrischung unserer 2010er Rückreise und ist einmal mehr ein spektakuläres Erlebnis. Bis Ilgaz bleibt der Zustand der Landstraße akzeptabel, dann zeigen uns die berüchtigten türkischen Straßenbauer mal wieder eindrucksvoll, wo der Hammer hängt. Über einen 1420m hohen Passanstieg geht es auf grobem Schotter und durch dichte Staubfahnen hinauf nach Korgun. Der Pössl rüttelt und schüttelt sich, die Aprilia lässt mehrfach die Ohren hängen, weil sich der Lenker trotz fest angezogener Klemmböcke unter dem Zug der Abspanngurte verdreht, und die XT findet's einfach nur übel, weil sie die Bautrasse noch nicht selber abreiten darf. Nach 20 Kilometern sieht unser Gespann aus wie nach einer vierwöchigen Exkursion auf Off-Road-Pisten.
Ab Çankiri folgt Entschädigung: Weit öffnet sich das Land, eine milde Nachmittgassonne malt das Land in ockerfarbenen Pastelltönen, und als wir Richtung Dedeköy links den Blinker setzen und über Landstraßen 3. Ordnung gleiten, ist die türkische Welt wieder völlig in Ordnung. Malerisch die kleinen Bauerndörfer mit ihren alten lehmverputzten Häusern, geradezu idyllisch das Flussleben am Kizilirmak. Zwei beschauliche Stunden und wir sind endlich angekommen — in einem weiten Land ohne Grenzen, in einem Land ohne Zeit, in jener Türkei, die ganz tief in unseren Herzen wohnt.
Mit Bogazkale fahren wir über die Ziellinie und betreten das Reich der Hethiter. Im Internet haben wir uns den Campingplatz beim Hotel Asikoglu ausgesucht und
ignorieren daher entschlossen alle winkenden Anwerber auf der Dorfstraße. Eine Minute später stehen wir vor einem doch sehr vernachlässigt wirkenden Campinggelände und wollen gerade mit dem nun
fälligen Gejammer beginnen, da lehnt sich ein schwer atmender junger Mann an die Fahrertür und keucht irgendetwas von "Camping only for groups ... better Camping in the village ... my own Camping
... welcome, hos geldiniz ...". Murat ist uns von der Dorfmitte ab nachgelaufen, und als er das Tor zu seinem hinter einer Mauer versteckten Mini-Camping-Garten aufschließt, sind wir einmal mehr
froh, dass Neugierde und Vertrauen zuweilen Hand in Hand gehen. Volltreffer!
Camping unter Apfelbäumen auf einer saftig-grünen Wiese in Zentralanatolien — da hat es Allah heute besonders gut mit uns gemeint. Murat ist der
Neffe des Hotelbesitzers und als Fremdenführer ein excellenter Kenner sowohl der Ausgrabungen von Hattusa wie auch der Kultur der Hethiter. Um das Programm des nächsten Tages brauchen wir uns
also nicht mehr zu kümmern, und ich persönlich freue mich schon sehr auf ein Wiedersehen mit dem Großkönig Hattusili und den beindruckenden Palästen, Tempeln und Toren in der Hauptstadt der
Hethiter.
Es ist dunkel geworden, die Luft ist angenehm abgekühlt (1100 m) und Michaela hat gekocht. Viel mehr gute Nachrichten kann ein Tag eigentlich nicht haben ...
Sehr empfehlenswerte Kontaktadresse:
www.hattusas.com
Hotel Asikoglu
Hotel Restaurant Camping
Murat Bektas
www.hattusastour.com
Kommentar schreiben