Wechselbäder

Seki – Samaxi: 160 km

Der kleine Kerl ist wie ein Wiesel. Dabei stets freundlich, aufmerksam und bemüht, dass es uns gut geht. In seiner Küche herrschen locker 40 Grad, doch es ist ihm selbst kurz vor Schichtwechsel am Morgen keine Müdigkeit anzumerken. Ein Bruderkuss für die Ablösung, ein freundliches Winken zu uns herüber und "Sag olun", was sowohl "Tschüß" wie auch "Danke" heißen kann. Eine halbe Stunde später sind auch wir wieder auf der Bahn und erleben Aserbaidschan extrem. Von den verschiedenen Klimazonen war ja bereits die Rede, doch was uns auf dem Weg in den Süden nach Agdas erwartet, erscheint wie eine Mischung aus Steppe und Subtropen. Ein knallhartes Wechselbad auf nur 50 Kilometern Distanz. Unbarmherzig brennt die Sonne, steht bereits nach kurzer Zeit im Zenit, so dass wir kurze Schatten werfen. Das Land wellt sich über karge Hügel und ausgetrocknete Flusstäler. Hier und dort ist in den Senken noch Restfeuchte verblieben, gerade genug für kleine Ansiedlungen, die wie Oasentupfer in den Taleinschnitten liegen.

Bei Xanabad begegnen wir unserer alten Freundin wieder, der Kura, die in Aserbaidschan den Namen Kür angenommen hat. Sie wurde allerdings völlig ihres Flusslaufes beraubt und staut sich als Mingäcevir Reservoir zu einem gigantischen Stausee, der wesentlich für das feucht-heiße Klima verantwortlich ist. Unter unsere Enduroklamotten könnte man inzwischen einen Tropfeimer stellen, so wie es hier in den Hotels unter jeder Klimaanlage gemacht wird.

Ein entsetzter Schrei in den Kopfhörern reißt mich aus meinen Fahrtmeditationen: "Die Peggy spinnt, sie will Service – und auf dem Display ist ein großes Warnsymbol zu sehen!" Mit einem sirrenden-zischenden Geräusch kommt Michaela neben mir zum Stehen. Das klingt sehr ungesund und mein erster Verdacht geht Richtung Zylinderkopfdichtung. Kurze Abkühlung, Schlüssel auf Zündung und sofort startet der Motor, ohne dass ich den Anlasserknopf drücke. Des Rätsels Lösung: Die Starterwippe neben dem Gasgriff ist hängengeblieben und hat dem Anlasser permanent Strom gegeben. Aufatmen und weiter!

Nette Begegnungen unterwegs: Ein motorradfahrender Melonenverkäufer neben der Kür-Brücke, der mich auf seinem russischen Dreirad probesitzen lässt. Der blutjunge Chef eines schattigen Teegartens in Agdas, bei dem wir nach einem harten Baustraßenabschnitt entstauben und der es sich nicht nehmen lässt, uns mit einem befreundeten Taxifahrer bis hinaus in die erodierte "kappadokische" Bergwelt an der Straße nach Qäbälä zu leiten. Über eine fiese Plattenfahrbahn mit großen Spalten und Absätzen gelangen wir in die Stadt und erleben ein weiteres Wechselbad auf der heutigen Tour. Qäbälä wirkt gepflegt und kultiviert, verwöhnt mit dem Charme alter Marktgassen, mit schattigen Teegärten, mit hellen, freundlichen Sandsteinhäusern und gepflegten Grünanlagen und Parks. Wir pausieren oberhalb der Stadt im kühlen Schatten grüner Bäume und genießen einmal mehr eine Kanne mit goldbraunem Cay – ein inzwischen zur geliebten Gewohnheit gewordenes Ritual.

Zwischen Qäbälä und Ismayilli führt die Route erneut am Fuße des Kaukasus-Vorgebirges entlang und wir dürfen noch einmal durch schattige Wälder und lichtdurchflutete Alleen rauschen. Ein Teegarten am anderen lädt zum Verweilen ein und so gestaltet sich die Fahrt zur Bummeltour mit hohem Genusswert. Auf dem Weg nach Samaxi mahnt der niedrige Sonnenstand bereits wieder die Abendstunden an und so lassen wir die Bikes über einen gut 1000m hinauf führenden Pass mit bucklig-welligen Enduroeinlagen fliegen. Ein würdiges Ende eines beeindruckenden Motorradtages – ein wahres Wechselbad der Eindrücke und Gefühle.

Ein Hinweisschild auf ein Motel am Ortseingang von Samaxi erlöst uns schließlich vom Herumirren in den staubigen und lauten Straßen der unterkunftslosen Stadt. Und wenn die Matratzen der Betten auch eher an den Komfort von Sandsäcken erinnern und sich die hygienischen Verhältnisse einmal mehr im Grenzbereich befinden, so vermögen das leckere Lamm-Schaschlik, den milden Joghurt und der schmackhafte Gurken- und Tomatensalat uns doch reichlich zu entschädigen. Der türkische Gastwirt hat aus seinem Samaxi-Motel-Restaurant mit Pflanzen, Blumen und Obstbäumen eine kleine Oase der Ruhe gemacht, und als spät am Abend noch eine lokaler Barde auf einer Tar (Zupfinstrument) Lieder von der verlorenen Heimat Karabach spielt, da kommt doch tatsächlich ein wenig klassische Urlaubsstimmung auf ...


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